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VIDEOKUNST IM LUFTSCHUTZKELLER

Dass man mit dem architektonischen Erbe der Nationalsozialisten auch ganz anders umgehen kann, nämlich souverän, selbstsicher und frei von jeder Angst vor Ansteckung, beweist die Münchner Kunstsammlerin Ingvild Goetz. Seit 2011 zeigt sie im ehemaligen Luftschutzkeller des »Hauses der Deutschen Kunst« eine wechselnde Auswahl ihrer umfangreichen Sammlung von Video- und Filmarbeiten, die heute die bedeutendste in Europa ist.

Wer meint, im Angesicht faschistischer Architektur die Stirn runzeln zu müssen, der bekommt hier wahrhaft viele Falten. Im Münchner Haus der Kunst findet die nationalsozialistische Selbstdarstellung einen ungehemmten Ausdruck. Der Monumentalbau, zwischen 1933 bis 1937 von Hitlers Architekten Paul Ludwig Troost in einem neoklassizistischen Stil errichtet, ist auf Überwältigung angelegt. Eine kolossalische Fassade mit Portikus und Säulen an beiden Längsseiten, eine kapitale »Ehrenhalle«, gewaltig hohe Decken, »gediegene« Materialien wie Kalkstein, Marmor und Granit. Gedacht ist das Gebäude als als eine Art »Tempel«, der die »Seele des deutschen Volkes« verkörpern soll.

Das Haus der Kunst. München

Troost realisiert seine repräsentativen Ambitionen sogar noch im Luftschutzkeller. Der knapp 300 qm große Raum aus Stahlbeton unter einer drei Meter starken Decke wird mit denselben »gediegenen« Materialien ausgestattet wie das übrige Haus – ein Gebäude ist schließlich ein »Gesamtkunstwerk«. Bis Ende 1944 wird der Luftschutzkeller auch als solcher genutzt. Nach dem Krieg dient er jahrzehntelang als Lagerraum – vergessen, verwahrlost, verdrängt.

Hier unten spürt man noch immer eine Beklemmung, ein Frösteln hinter den Stahltüren und den mit Ketten verhängten Duschkabinen, in denen die Keramikfliesen von den Wänden fallen. Nichts ist verändert, nichts renoviert. Der Keller wirkt bis heute eng und intensiv, extrem steril und körperlich zugleich. Ein scharfer Kontrast und ein perfekter Rahmen für die postmoderne Medienkunst, die Ingvild Goetz in den fensterlosen Zellen des ehemaligen Schutzraumes zeigt. Was für eine großartige Idee!

Óscar Muñoz, Biografías 3-Kanal-Videoinstallation in den Duschen des Luftschutzkellers. Ausstellung »Aschemünder« 2011 © Wilfried Petzi

Die niederländische Videokünstlerin Mathilde ter Heijne zum Beispiel zelebriert hier in ihrer 1-Kanal-Videoinstallation »Mathilde, Mathilde…« eine Art Selbstmord, indem sie eine lebensgroße Puppe, die genauso aussieht und genauso angezogen ist wie sie selbst, von einer Brücke wirft. Immer und immer wieder.

Der amerikanische Medienkünstler Matthew Barney lässt hier in seinem CREMASTER-Zyklus zwei Goodyear-Zeppeline schweben, in denen tadellos geschminkte Stewardessen in den adretten Uniformen der 30er Jahre schweigend umhergehen, während sich im Bauch der Luftschiffe ein platinblondes Mädchen als Doppelwesen räkelt und Weintrauben pflückt. Barney verbindet historische und mythologische Motive mit architektonischen Vorstellungen und biologischen Modellen. Gibt es für solche Arbeiten einen passenderen Ort als diesen ehemaligen Nazi-Bunker?

Szene aus CREMASTER 1 1995/96 1-Kanal-Videoinstallation © Courtesy Sammlung Goetz, München

Historischer Heizungskeller im Haus der Kunst © Wilfried Petzi

Szene aus CREMASTER 1 1995/96 1-Kanal-Videoinstallation © Courtesy Sammlung Goetz, München

Die Deutschen tun sich noch immer schwer mit ihrem nationalsozialistischen Erbe, auch mit dem architektonischen. Da müssen erst die Belgier kommen oder die Briten. Wie der belgische Kurator Chris Dercon, der von 2003 bis 2011 als Direktor nicht nur das etwas angestaubte Museum zu einem Ausstellungsort von Weltrang macht, sondern auch alle architektonischen »Entnazifizierungen« der Nachkriegszeit zurücknimmt. Er öffnet die verschlossenen und verschalten Räume, befreit die abgehängten Decken und legt den ursprünglichen Bau wieder frei.

Oder wie der britische Architekt David Chipperfield, der bereits die Ruine des Neuen Museums in Berlin saniert und dabei die Narben des kriegsversehrten Gebäudes bewahrt hat und jetzt in seinen Entwürfen für das Haus der Kunst die Vergangenheit des NS-Bauwerks gänzlich offenlegen möchte. Unter anderem will er die Bäume fällen, die in den 50er Jahren vor die Fassade gepflanzt worden sind, um den bombastischen Bau und die deutschen Großmachtträume möglichst zu verstecken. Muss man erwähnen, dass Chipperfields Pläne mancherorts auf erbitterten Widerstand stoßen?

Ingvild Goetz in der Ausstellung Peter Fischli / David Weiss, 2011 © Thomas Schmidt, Hamburg

Für Ingvild Goetz sind diese ewigen Nazi-Debatten eher uninteressant. Zwar hat sie für ihre erste Ausstellung im Luftschutzkeller – »Aschemünder« – vor allem Arbeiten herausgesucht, die sich auf die eine oder andere Art mit Krieg beschäftigen. Das aber in dem Wissen, dass es bis heute immer wieder und überall auf der Welt Kriege gibt, dass Menschen leiden oder vernichtet werden, und dass die Menschheit nichts aus ihrer Geschichte zu lernen pflegt.

»Mein Zugang zur Kunst ist subjektiv, intuitiv, und was ich kaufe, hat meist mit mir selbst zu tun«. Ingvild Goetz feiert in diesem Jahr das 25-jährige Bestehen ihrer Sammlung mit einer dreiteiligen Ausstellung, die sich dem künstlerischen Schaffen von Frauen widmet. Sie zeigt Fotografien, Filme und Installationen von mehr als 40 Künstlerinnen aus den 1960er-Jahren bis in die Gegenwart. Der erste und dritte Teil der Ausstellungsreihe »Generations. Künstlerinnen im Dialog« ist im Museum der Sammlung Goetz zu sehen, der zweite Teil im Luftschutzkeller im Haus der Kunst. Hier liegt der Fokus auf der Erkundung des Körpers und auf den gesellschaftlichen Vorstellungen von Sexualität, Geschlecht und Identität.

Tracey Emin, The Scream (Filmstill) 1998. 1-Kanal-Video © Tracey Emin VG BILD-KUNST Bonn, 2018 Courtesy Sammlung Goetz, München

Es geht um Grenzen und Tabus. Tracey Emin etwa, das bekannteste Gesicht der »Young British Artists« und Freundin von Model Kate Moss, gewährt schon seit den 90er Jahren schamlose Einblicke in ihre Intimzone. Die Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist erkundet in extremen Close-Ups die intimen Regionen des Körpers. Und der Experimentalfilm »Kusama‘s Self-Obliteration« dokumentiert die Performances und Nackt-Happenings der japanischen Künstlerin Yayoi Kusuma aus den 1960er-Jahren in New York.

Rosemarie Trockel macht seit den 80er Jahren »das Frausein« zum Thema ihrer Kunst – ihre Strickbilder als Ironisierung vermeintlich typischer Frauenarbeit sind weltberühmt. Und die libanesische Künstlerin Mona Hatoum stellt den Körper, die Sinne und Gefühle, in den Mittelpunkt ihrer Arbeiten und kehrt buchstäblich das Innere nach außen. Analytisch, politisch und schnörkellos.

Rosemarie Trockel, Pausa (Filmstill) 1999. 1-Kanal-Video © Rosemarie Trockel VG BILD-KUNST Bonn, 2018 Courtesy Sprüth Magers und Sammlung Goetz, München

Wer danach einen Drink braucht, klettert die Treppe zum Keller wieder rauf und begibt sich in die »Goldene Bar«. Auch dieser Raum verdankt seine Renaissance dem belgischen Direktor Dercon, der die Sperrholzplatten von den Wänden montiert und dahinter goldene Malereien entdeckt. Mit der Eröffnung 1937 bietet das Haus der Kunst nämlich auch eine elegante Bar, wie man sie von den damaligen Künstlerhäusern oder Luxusdampfern kennt. Auf goldenem Grund sind Landschaften zu sehen – das deutsche Rheingau, Italien und Ungarn für Weine, die Britischen Inseln für Whiskey und Gin, die Karibik für Rum. Heute zählt der sorgfältig konservierte Ort zu den besten Bars in München. Und von der Terrasse hat man im Sommer einen wunderbaren Blick in den Englischen Garten.

Goldene Bar im Haus der Kunst, München

 

GENERATIONS PART 2

KÜNSTLERINNEN IM DIALOG

29.06.2018 – 27.01.2019

Sammlung Goetz im Haus der Kunst

Prinzregentenstraße 1 / 80538 München

Der Luftschutzkeller ist von Donnerstag bis Sonntag geöffnet

www.hausderkunst.de

 

Sammlung Goetz

Oberföhringer Straße 103 / 81925 München

www.sammlung-goetz.de

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