»Ugly ist attractive, ugly is exciting«. Miuccia Prada hat das Hässliche nie aus ihrer Mode verbannt – im Gegenteil. Warum nicht? »Because ugly is human«.
Miuccia Prada, geboren 1949 in Mailand, ist eine der wichtigsten Modemacherinnen der Gegenwart und eine Visionärin der Branche. Sie mag heute schon, was anderen erst morgen gefällt und ist die einzige Designerin, die in jeder Saison garantiert etwas vollkommen Neues zeigt – manchmal so neu und ungewöhnlich, dass man ihre Entwürfe erst eine Saison später versteht. Häufig kommt man dann zu spät.
Kelly Mittendorf, Antonia Wesseloh, Julia Zimmer © Prada Fall/Winter 2011 ad campaign / Steven Meisel
Ich weiß das aus Erfahrung. Ich liebe die Mode von Prada schon sehr lange, aber bei manchen neuen Kollektionen bin ich anfangs doch ziemlich irritiert und denke: Wie schrecklich! Doch das scheinbar Hässliche ist zumeist, wenn auch nicht immer, eine Frage der Sehgewohnheiten. Miuccia Prada stellt mit ihrem »ugly chic« die gängigen Klischees der Mode in frage und kombiniert Stoffe, Farben und Muster, die erst mal nicht zusammenpassen.
Mit manchen eher skurrilen Entwürfen werde ich mich zwar nie anfreunden, auch mit manch sperrigen Materialien nicht. Aber wenn ich mir heute die früheren Kollektionen ansehe oder die Teile, die ich seit vielen Jahren im Schrank habe, dann sind sie ganz und gar nicht »ugly«, sondern einfach nur schön. Und immer noch – oder gerade erst oder wieder – aktuell.
Black Nylon © Prada Spring/Summer 2018 ad campaign
So wie die Handtaschen aus schwarzem Fallschirm-Nylon, mit denen Miuccia 1984 alle Traditionen bricht. Vor allem der Rucksack ist Pradas erster internationaler Erfolg – er avanciert zum Kultobjekt. Als später die Ära der immer neuen »It-Bags« beginnt, scheint der Rucksack überlebt. Jetzt aber ist der Klassiker wieder da. In der Fall/Winter-Kollektion 2017 gibt es Handtaschen aus schwarzem Nylon, auch der Rucksack ist wieder erhältlich. Und begeistert eine neue junge Generation.
1971 erbt Miuccia Prada das familieneigene Lederlabel von ihrem Großvater und steigt nach ihrer Promotion in Politikwissenschaft in das traditionsreiche, aber etwas biedere Geschäft ein. Sie habe es zuerst gehasst, hat sie häufig erzählt. Eine Kommunistin und Feministin in der Modewelt? Dabei ist sie, feministisch hin oder her, der Mode keineswegs abgeneigt und klebt ihre politischen Plakate gern in Pumps und Röcken von Yves Saint Laurent oder Kenzo an. Wo ist der Widerspruch?
Miuccia Prada © Courtesy Prada
Es gibt keinen. Miuccia mag sich in keine Schublade stecken lassen. Sie sucht sich von überall Facetten für ihr Ich und sieht Mode als eine Möglichkeit, sich »jeden Tag neu zu kombinieren«. Sie verändert ihre Richtung von Kollektion zu Kollektion. Einmal zeigt sie minimalistische Techno-Looks mit acetatbeschichteten Nylonanzügen, ein anderes Mal bunte Sixties-Muster oder phantastische Drucke. Einmal präsentiert sie schwere Stiefel, Ledermäntel und Grobgestricktes, ein anderes Mal transparente Kleider mit Glitzerfransen oder handgefertigte Spitze. Sich selbst verliert sie dabei nie.
Latex und Plastik, Bruchstücke von Spiegeln und Stoffmuster, die an Tischdecken aus den 50ern erinnern. Für Miuccia Prada muss Mode eine Verbindung zur Realität haben, auch zum Trash, der im Alltagsleben schließlich auch präsent ist. Mode darf keine Oase klassischer Schönheit sein. Ende der 80er Jahre, die Designerin zeigt ihre erste Prêt-à-Porter-Kollektion, sind das Hässliche und der »bad taste« im Film und in der Kunst längst angekommen – nur in der Mode nicht. »Ich wollte den Kurzschluss und die Kontamination dieser Welt.«
Amber Valletta © Prada Fall/Winter 2002 ad campaign / Steven MeiselChristy Turlington © Prada Spring/Summer 1994 ad campaign / Peter Lindbergh
Ihr Stil trifft den Nerv der Zeit. Er kommt an und wird kopiert. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Patrizio Bertelli, der das Management übernimmt, entwickelt sie die Firma zu einem international bekannten Luxuslabel und einem der wichtigsten Modehäuser der Welt. Heute ist die Marke ein milliardenschweres Unternehmen mit mehr als 300 Geschäften in 80 Ländern. In der Mode ist der Begriff von Schönheit seither nicht mehr derselbe.
Miuccia ist anders. Wenn der Modetrend Opulenz propagiert, zeigt sie Minimalismus. Wenn es in der Mode um Körperlichkeit geht, präsentiert sie Konzepte. Wenn die Mode «Sexiness« betont, zeigt sie genau das Gegenteil – ironische Kommentare zu einer überhitzten Weiblichkeit. »Je sexyer sich eine Person kleidet, desto weniger sexy wird sie sein, und, noch schlimmer, desto weniger Sex wird sie haben«, hat sie schonungslos erklärt. Das hat ihr den Ruf einer intellektuellen Modemacherin für coole Frauen eingebracht, die sich für Kunst und Architektur interessieren und Magazine wie »Wallpaper« oder das »Wall Street Journal« lesen.
Prada Flagshipstore von Rem Koolhaas in New York 2001 © PradaPre-Fall 2018 Industrality Film © Prada
Mode, Kunst, Architektur. Seit den 90er Jahren überschneiden sich die Bereiche zunehmend. Die Mode braucht ein Ambiente, der Konsum eine Bühne und die kulturelle Erhöhung. Die großen weltweiten Marken bauen imposante und spektakuläre Flagshipstores als moderne Tempel. Auch Prada engagiert Stararchitekten wie Rem Koolhaas oder Herzog & De Meuron, die das Design der berühmten Stores gestalten: 2001 in New York, 2003 in Tokio, 2004 in Los Angeles.
Prada Flagshipstore von Herzog & de Meuron in Aoyama 2003 © PradaJing Wen © Prada Spring/Summer 2017 ad campaign / Willy Vanderperre
Miuccia Prada allerdings hält nicht viel von »dem Gerede, dass Mode jetzt Kunst« sei. »Natürlich muss man auf beiden Gebieten ein Gespür dafür haben, wohin sich die Gesellschaft bewegt«, aber das ist auch alles. Mode ist Mode. Und Kunst ist Kunst.
Zwar lässt sie sich in ihren Modenentwürfen gelegentlich auch von der Kunst inspirieren. Für ihre Winterkollektion 2014 etwa von Rainer Werner Fassbinders Film »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« von 1972, der sich in den schräg gestreiften Sweatern wiederfindet. In der aktuellen Sommerkollektion zeigt sie Pop-Art-Comic-Prints von neun verschiedenen Künstlerinnen – teils zeitgenössische Arbeiten, teils Retro-Motive wie die von Trina Robbins, die in den 60ern die Comicfigur »Vampirella« erfunden hat.
Doch grundsätzlich hat die Kunst ihre eigenen Räume. 1995 gründet Miuccia mit ihrem Ehemann die Stiftung »Fondazione Prada« in Mailand. Auf dem Gelände einer alten Destillerie am Südrand der Stadt baut Rem Koolhaas ein bemerkenswertes Quartier für zeitgenössische Kunst. Den sieben bestehenden Gebäuden fügt er drei Neubauten hinzu. Es gibt eine Halle für antike Skulpturen, ein Kino, eine Gotte, einen Turm und sehr viel Ausstellungsfläche.
Fondazione Prada Mailand © Paolo Ferrarini / Courtesy Fondazione PradaFondazione Prada Mailand © Bas Princen / Courtesy Fondazione Prada
Weithin leuchtet ein altes vierstöckiges Gebäude, das Koolhaas mit 24-Karat-Blattgold überzogen hat. Nicht, weil es unbedingt prunkvoll sein soll, sondern weil »das Vergolden verdammt billig ist«. Billiger zumindest als Marmor oder Travertin. Aber natürlich ist der Goldglanz gewollt. Wie überhaupt die Symbiose aus Industriearchitektur des frühen 20. Jahrhunderts und den Glasfassaden des 21. Jahrhunderts, aus Eisen und Aluminiumschaum. Es geht um historische Kontinuität und um die Interaktion von Tradition und Moderne.
In den Mauern der alten Brennerei richtet der amerikanische Regisseur Wes Anderson die Bar »Luce« ein – in dem verspielten Retro-Design, das schon seinen Film «Grand Budapest Hotel« auszeichnet. Die bunten Möbel und der Terrazzoboden sind eine Hommage an den italienischen Film. An Vittorio de Sicas »Das Wunder von Mailand« von 1951 und an Luchino Viscontis »Rocco und seine Brüder«. In der Jukebox laufen italienische Hits der 60er Jahre.
Die Bar Luce von Wes Anderson © Paolo Ferrarini / Courtesy Fondazione PradaPrada Spring/Summer 2012 ad campaign © Steven MeiselWalter De Maria, Bel Air Trilogy: Circle Rod, Square Rod, Triangle Rod 2000-2011 © Attilio Maranzano / Courtesy Fondazione Prada Milano, 2015
Wenn die Politik versagt, müssen Kultur, Bildung und Kunst dringend »eine Lücke füllen«. Davon ist Miuccia Prada überzeugt. Und die Mode? Kleidung ist ein »politisches Werkzeug«. Auch davon ist sie überzeugt. Man kann den nackten Körper ankleiden, umkleiden und verkleiden. Und dann stellt man ihn mitsamt seinen Verkleidungen in einen öffentlichen Raum, in dem er mit anderen Körpern reagiert und der Welt etwas mitteilt.
Die Designerin gibt zu, sich lange überhaupt keine Gedanken um die Körper der Menschen gemacht zu haben, die ihre Kleidung anziehen sollen, nicht einmal um ihr Geschlecht. Es geht ihr eigentlich immer um eine Idee. Und eine Idee, glaubt sie, sieht an jedem Körper gut aus.
A City of Women © Prada Fall/Winter 2017 ad campaign / Willy Vanderperre
Mode von Prada mag intellektuell sein, doch am Ende ist, wie Miuccia selbst sagt, »ein Kleid nur ein Kleid und kein philosophischer Diskurs.«
Beitragsbild © Guido Harari / Contrasto / Redux
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