Die Welt hat sich verändert. Die Mode auch. »Trends« gibt es schon lange nicht mehr. Angebliche Trends entstehen und vergehen in einer Geschwindigkeit, in der man sich nichts mehr merken kann und auch nichts mehr merken muss.
Mode ist ein Teil jener Hype-Kultur geworden, die vor allem von sozialen Medien wie Instagram lebt. Mode, Musik, Pop, Party und Promis – im atomisierten Internet gibt es keine Gegensätze mehr. Große und traditionsreiche Modehäuser beschäftigen junge Avantgarde-Designer wie Guccis Alessandro Michele oder Balenciagas Demna Gvasalia, die das längst verstanden haben und gekonnt inszenieren.
© @vetements official / Instagram
Gvasalia hat mit seinem Label Vetements schon vor zwei Jahren eine neue Anti-Fashion-Streetwear-Ästhetik für eine neue Generation definiert – seine Shirts mit DHL-Logo und seine blauen IKEA-Taschen sind für einen Hype in der Instagram-Community geradezu gemacht.
Haute-Couture und Hype-Kultur, Luxus und Underground, Laufsteg und Straße, Authentizität und Copycat – die Grenzen verschwimmen. Auch die amerikanische Vogue fragt in ihrer »September Issue« nicht mehr nach Trends. Chefredeakteurin Anna Wintour schreibt: »We barely discussed trends – in fact, trend is now pretty much verboten… «.
ALL CHECKED
Es gibt allenfalls noch Themen. Oder Befindlichkeiten. Ein derzeit omnipräsentes Thema ist das Karo, das aber eigentlich in jedem Herbst neu aufgelegt wird. Ob Prince-of-Wales-Check, Glencheck, Pepita, Vichy oder Schottenmuster – Karos passen irgendwie zur Jahreszeit. Sie passen zur Stimmung der ersten kühlen Tage, zu den staubigen Tönen der abgeernteten Felder und zu den Blättern, die sich langsam verfärben.
Calvin Klein 205W39NYC Fall/Winter 2018Prada Fall/Winter 2018Dries van Noten Fall/Winter 2018
Karos erinnern an die schottischen Highlands, an rauhe Landschaften und eine jahrhundertealte royale Tradition. Sie erinnern an Coco Chanel, die sich für ihre herbstliche Spaziergänge an der Lochmore Lodge gern das karierte Jackett ihres Geliebten Hugh Grosvenor Duke of Westminster ausleiht oder an Wallis Simpsons, Duchess of Windsor, die gern karierte Kostüme und Mäntel trägt.
Karomuster beherrschen die Laufstege schon eine Weile – Balenciaga etwa hat bereits im Frühjahr Hosen mit Tartanmuster gezeigt. Jetzt aber geht ohne Karos nichts mehr. Karierte Blazer, Mäntel, Röcke oder Anzüge finden sich in fast allen Kollektionen – von Dior bis Dries van Noten, von Prada bis Sacai, von Fendi bis Ganni.
© Balenciaga Spring/Summer 2018 ad campaignBalenciaga Fall/Winter 2018
Traditionelle Karomuster wie der Glencheck aus den Highlands oder der Prince-of-Wales-Check, der Anfang des 14. Jahrhunderts für Edward II of England gewebt wird, haben eher gedeckte und erdige Farben. Gucci beispielsweise zeigt in seiner aktuellen Kollektion eine Hose mit braunem Prince-of-Wales-Karo, das die Countess of Seafield im schottischen Glenurquhart im frühen 19. Jahrhundert entwirft.
Gucci Fall/Winter 2018 ad campaign © Gucci / Glen Luchford
Das Tartanmuster definiert mit seinen verschiedenen Webmustern und Farben wie Rot, Blau oder Grün ursprünglich die Zugehörigkeit zu einem schottischen Clan. Später wird es zum typischen Karo britischer Marken und noch später zum Lieblingsmuster der Punks und des Grunge der 90er Jahre.
Karo ist ein Klassiker. Karo bleibt. Immer.
ALL OVERSIZED
»Think Big« steht auf dem Graffiti-Berg bei der Show von Balenciaga für Fall/Winter 18. »Thing Big« ist das Motto von Demna Gvasalia, der seine perfekt geschnittenen Oversized-Entwürfe in vielen Lagen übereinander schichtet.
Balenciaga Fall/Winter 2018Maison Margiela Fall/Winter 2018
In dieser Saison werden Jacken, Mäntel, Hemden und Sweater in Größe XXXL getragen – nicht nur bei Balenciaga und Vetements. Auch Calvin Klein, Maison Margiela und Miuccia Prada zeigen Oversized-Jacken und Mäntel, bei Miu Miu kombiniert mit »Big Hair«.
Miu Miu Fall/Winter 2018Miu Miu Fall/Winter 2018
Das Thema hat mit Befindlichkeiten zu tun. Mit dem Bedürfnis nach Wärme in einer erkalteten Welt. Mit der Sehnsucht nach Stärke und Schutz in einer Zeit, in der die alten bürgerlichen Sicherheiten erodieren. Mit dem Verlangen nach Authentizität in den großstädtischen Gesellschaften, in denen das Leben immer künstlicher und virtueller und die Zukunft immer häufiger dystopisch gedacht wird.
Amanda Murphy in Las Vegas, Prada Fall/Winter 2018 ad campaign © Willy Vanderperre
WANDERLUST
»Wanderlust«. So heißt nicht nur die Ausstellung mit Bildern von Caspar David Friedrich bis Auguste Renoir, die noch bis zum 16. September in der Alten Nationalgalerie in Berlin zu sehen ist. Wanderlust ist in diesem Herbst auch ein Modethema. Windbreaker, dicke Fleece-Westen, Wanderhosen, Puffy Jackets, Regenmäntel, Rucksäcke und Trekkingstiefel – der »mountain chic« erobert die Straßen.
Caspar David Friedrich, Morgen im Riesengebirge, 1810/11. Alte Nationalgalerie, Berlin
»Gorpcore« hat das »New York Magazine« den neuen Hype genannt – ein Wortspiel aus »Normcore«, dem bewusst bescheidenen und unauffälligen Hipster-Trend, der 2013 von der New Yorker Werbeagentur »K-Hole« ausgerufen wird, und den Anfangsbuchstaben von »Good Old Raisins and Peanuts», dem Studentenfutter, das Wanderer gern mit in die Berge nehmen.
Wir wollen raus. Raus aus dem unerträglichen Rennen um immer neue Buzzwords und Hypes und Fashion-Codes. Raus aus der Social-Media-Welt und dem aberwitzigen Wettbewerb um Posts und Likes und Follower, raus aus der ewigen Distinktion und all den Erwartungen und Ansprüchen. Definiert sich unsere Identität über das Display unseres Smartphones? Und wenn die Nachrichten nicht im Sekundentakt poppen, existieren wir dann nicht mehr?
Wir gehen lieber in die Berge – where the wild things are. Die Freiheit, das Abenteuer, das Unerwartete und die grandiose Einfachheit einer Jahrmillionen alten Natur, vor der wir nichts sind als »Dust in the Wind«.
Hellstugutinden, Norwegen © Rüdiger ContzenCalvin Klein 205W39NYC Fall/Winter 2018Memurutunga, Norwegen © Rüdiger Contzen
Oversized Daunenjacken und derbe Hiking-Boots sind die »Gorpcore-Basics«. Nicht nur bei Outdoor-Marken wie Patagonia oder North Face, sondern aktuell auch bei High-Fashion-Designern wie Balenciaga oder Prada. Vetements zeigt übergroße Jeansjacken mit weiten Hosen über mehreren Lagen verschiedenster Pullover. Und Gucci feiert klobige und von der Wanderwelt inspirierte »Flashtrek-Sneaker« aus Wildleder und Kautschuk, in der luxuriösen Variante mit abnehmbaren Kristallen.
Vetements Fall/Winter 2018Snota, Trollheimen, Norwegen © Rüdiger ContzenFlashtreck-Sneaker © Gucci Fall/Winter 2018Green Mountain, Boulder Colorado © Rüdiger Contzen
Der Berg ruft. Und verspricht Ursprünglichkeit, Einsamkeit und Gipfelmomente. Verspricht endlose Blicke, Kraft und einen klaren Kopf – fernab vom Getümmel und all den Verwirrungen und Verstrickungen des Flachlands.
Ich verabschiede mich jetzt für die nächsten drei Wochen. Ich gehe wandern.
Beitragsbild © Gucci Cruise 2017 ad campaign in Chatsworth House, Derbyshire / Glen Luchford
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