Schönheit? »Die Schönheit, von der man so im Allgemeinen spricht, ist überhaupt nichts wert«, hat Peter Lindbergh einmal in einem Interview gesagt. Und zur Eröffnung seiner Ausstellung in der C/O Galerie 2010 in Berlin: »Ein Mund ist dann schön, wenn er interessante und sensible Dinge sagt.«
Lindbergh hat nie den schönen Schein gesucht. Sondern immer echte, natürliche und ehrliche Schönheit. »Frauen in aller Ehrlichkeit zeigen«. Das ist leicht, wenn man Menschen photographiert, die von Natur aus schön sind. Aber Peters Blick durch die Kamera hat nicht nur die begnadet Schönen schön gemacht.
Peter Lindbergh wird gern als »Photograph der Models« gehandelt. Das Etikett wird ihm nicht gerecht. Ja, er ist einer der einflussreichsten Modephotographen der vergangenen Jahrzehnte und hat das Genre mit seinen spektakulären Schwarz-Weiß-Bildern wie kein anderer geprägt.
Und ja, er begründet die Ära der Supermodels, als er 1990 fünf junge und noch relativ unbekannte Models für das Cover der Britischen Vogue zusammenbringt – Naomi Campbell, Linda Evangelista, Tatjana Patitz, Christy Turlington und Cindy Crawford.
Doch Peter Lindbergh ist kein Modephotograph. Zwar arbeitet er über die Jahre für alle wichtigen internationalen Modemagazine, aber seine Bilder sind ganz und gar nicht modisch. Auf vielen ist die Mode kaum zu sehen. »Für mich dient Mode nur dazu, etwas über die Frau zu erzählen, die sie trägt«.
Modephotographie ist für Lindbergh vor allem Porträtphotographie. Dabei geht es ihm nicht um die Physiognomie, sondern um die Persönlichkeit. Was macht ein gutes Photo aus? »Es ist nicht die Außenhülle des Knochengerüsts, nicht die Form eines Gesichts, sondern der unsichtbare Teil eines Menschen, den man einfängt, wenn er oder sie gewillt ist, ihn preiszugeben«.
Der Photograph wird 1944 als Peter Brodbeck in Lissa im heutigen Polen geboren und wächst in Duisburg auf. Das Ruhrgebiet der fünfziger Jahre ist alles andere als glamourös. Vom Reihenhaus der Eltern geht der Blick auf Hochöfen, Schornsteine und staubige Wiesen.
Diese frühen Eindrücke, die er nie vergißt, beeinflussen seine Arbeiten bis zuletzt. Oft inszeniert er seine Bilder in eher rauhen und rohen Umgebungen – auf den Straßen von New York oder im Hafen von Rotterdam, in Industrieanlagen oder in leeren Räumen mit nackten Fußböden.
Glamour findet Lindbergh unattraktiv. Auch wenn er sich, 14jährig, einen damals ziemlich glamourösen Job aussucht – als Schaufensterdekorateur. Zuerst bei Karstadt, später bei einem Kaufhaus in Luzern. Zurück in Nordrhein-Westfalen studiert er Malerei in Krefeld und arbeitet als Assistent bei einem Werbefotografen in Düsseldorf. Nach zwei Jahren beherrscht er das Handwerk.
Seit jener Zeit nennt er sich Lindbergh, wie der legendäre amerikanische Pilot Charles Lindbergh, der 1927 als erster den Atlantik überquert. Ganz zufällig ist die Namensgebung nicht. Wie der legendäre Flieger überschreitet er bekannte Grenzen und wagt einen anderen Blick auf die Welt.
Peter Lindbergh hat die Modephotographie neu erfunden, hat Sehgewohnheiten und Erwartungen hinter sich gelassen. Er hat keine Mode photographiert, sondern Menschen. Für seinen ersten Auftrag von der amerikanischen Vogue 1988 versammelt er sechs Models am Strand von Santa Monica, steckt sie in große weiße Herrenhemden und lässt sie einfach herumtollen.
Kaum Make-up, die Haare ganz natürlich. Die Redaktion der Vogue ist schockiert: »Was sollen wir denn damit?«. Die Aufnahmen, die heute zu den Ikonen der Modephotographie gehören, verschwinden zunächst in irgendeiner Schublade.
Peter Lindbergh verweigert sich dem Ideal der Modemagazine jener Zeit, das er »grauenhaft« findet – »dämlicher, halb offener Mund und bombastische Haare.« Ihm geht es nicht um Perfektion, sondern um Gefühle, Gesichter, Geschichten – und Momente.
Dass Schönheit von kommerziellen Interessen und exzessivem Photoshop manipuliert wird, hält Lindbergh für inakzeptabel. »Es herrscht diese verheerende Religion vor, in der absolute Perfektion und Jugend die Maßstäbe sind, an denen Frauen gemessen werden«.
Seine Photographien sind nicht glatt, nicht geschönt, nicht weichgezeichnet und vor allem nicht retuschiert. Sie sind sehr nahe am Menschen – mit allen Unregelmäßigkeiten, Flecken, Falten und Sommersprossen. Wie das Portrait der 75jährigen Jeanne Moreau, das gerade deshalb so schön ist.
»Einen echten Menschen, der sein ganzes Leben im Gesicht trägt, vor sich sitzen zu haben, ist toll. Und selten«, hat Peter Lindbergh einmal gesagt. Was soll man da retuschieren?
Echte Schönheit ist »die Courage, man selbst zu sein«. Interessant sind Frauen, die Persönlichkeit ausstrahlen und etwas zu sagen haben. Starke Frauen. Selbstbewusste Frauen.
In einer Branche, die von Eitelkeiten lebt, bleibt Peter bemerkenswert uneitel. Immer in Jeanshemd und Khakihose, immer direkt und unverstellt. »Ich habe mich bemüht, immer echt und ganz ich selbst zu sein«, hat er in einem Interview erklärt.
Dadurch gewinnt er nicht nur das Vertrauen seiner Models, eine Grundvoraussetzung für die Intimität und Erotik seiner Bilder, sondern auch viele echte und jahrelange Freundschaften. Jenseits einer großen Fangemeinde.
Immer bleibt er bodenständig und frei von allen Allüren. Selbst mit »Promis« geht er ganz normal um. Natürlichkeit und Normalität, Freundlichkeit und Empathie. Auch das gehört zum Geheimnis seines Erfolges.
Am 3. September ist Peter Lindbergh im Alter von 74 Jahren gestorben. Sein Werk aber bleibt. In zahlreichen Bildbänden und Ausstellungen – und im kollektiven Gedächtnis der Mode und der Photographie.
Beitragsbild © Peter Lindbergh