Der Juni ist der alte »Rosenmond«. Der Sommer beginnt zwar gerade erst, doch überall blühen schon Rosen. Märchenhafte Kletterrosen, die an verwitterten Steinbögen niederstürzen, üppige Strauchrosen mit schweren Zweigen und gefüllte Hybriden, Damaszenerrosen und Hundsrosen, chinesische Rosen und gestreifte Bourbonrosen. Ein Duft wie dunkler Honig. Myriaden von Rosenblättern, die glühen, sich entzünden und wieder vergehen – Blüten in sattem Purpur, in Pfirsich und Karmesin, in tiefem Rosa und blutigem Rot. »Ach«, ruft der Dichter Gottfried Benn, »hinter Rosenblättern versinken die Wüsten, die Welt.«
Rosen. Auf dem Wochenmarkt in Potsdam
Der Mensch hat Rosen schon immer geliebt. Sie blüht in Gärten und auf den Fenstern gotischer Kathedralen, sie blüht auf den Wappen englischer Adelshäuser und auf dem Banner der Ritter vom Rosenkreuz. Sie blüht in Sagen, Legenden und Märchen – Dornröschen, Rosenblättchen und Rosenrot. Sie blüht in Shakespeares Sonetten, in Goethes Gedichten und auch im Salon der exzentrischen amerikanischen Schriftstellerin Gertrude Stein. Aus ihrem Gedicht »Sacred Emily« von 1922 stammt der berühmte Satz »A Rose is a rose is a rose is a rose.«
Die Rose ist ein Zeichen der Liebe, der Jugend, der Schönheit und der Sinnlichkeit. Sie ist seit alters das Symbol der olympischen Liebesgöttinnen, die ewig jung, rosig und schön sind. Im antiken Mythos entspringt die Rose aus dem Blut des Jünglings Adonis, der von einem wilden Eber zerrissen wird, während er bei seiner Geliebten Aphrodite weilt. Aphrodite ist eine häufig treulose, aber immer verliebte Göttin, die das steinige Land in einen blühenden Garten verwandelt. Im römischen Mythos heißt sie Venus, die Graziöse und Liebreiche, aus deren Strahlen alle Schönheit der Erde erblüht.
Andy Warhol. Detail aus Sandro Botticellis »Die Geburt der Venus« von 1486 © The Andy Warhol Foundation / Artists Rights Society (ARS) New York
Tizian, Venus von Urbino. 1538
Auf Botticellis berühmtem Gemälde steigt Venus nackt und in vollendeter Gestalt aus Meerschaum und Muschel. Rosen regnen vom Himmel, und Flora eilt herbei, ihr das rosenbestickte Gewand zu reichen. Nackt und üppig ruht Tizians Venus von Urbino auf dunkelroten Kissen, einen Strauß von Rosenblüten in ihrer Hand, schwer unter der Last ihrer flammenden Schönheit. Auf den Gemälden der Präraffaeliten trägt die Göttin eine Fülle dunkelroter Locken und ihr sinnlicher Mund glüht so rot wie die abgerissenen Rosenblätter zu ihren Füßen.
Die rasch verwelkende Rose ist auch ein Symbol der Vergänglichkeit. Die frühen christlichen Grabnischen in den Katakomben sind mit Rosenranken verziert, auf alten Illustrationen trägt der Tod einen Kranz von Rosen auf seinem bleichen Schädel. Auf etruskischen Sarkophagen, griechischen Gräbern und im altrömischen Totenkult steht die Rose für das Jenseits und ein Weiterleben nach dem Tod. Im griechischen Elysium blühen die Rosen das ganze Jahr über und die unsterblichen Helden sind mit Rosen bekränzt. Die Rose ist das Versprechen auf eine bessere Welt. Auch wenn es nicht unbedingt diese ist.
© 2017 The Estate of Edward Steichen / Artists Rights Society (ARS) New York
Das klingt hoffnungslos romantisch? Ja, ich weiß. Ich bin nun mal von Natur aus eine Romantikerin. Damit aber leider auch, wie ich erst kürzlich gelernt habe, eine »Rechte«. Ja, wirklich. Romantik ist »rechts«, das will die aktuelle politische Debatte in diesem Lande so. Da kann man nichts machen. Da muss man tapfer sein. Und einmal mehr den romantischen Dichter Friedrich Hölderlin lesen, der sein Leben lang nach absoluter Schönheit sucht und dem jede politische Ideologie, rechte wie linke, vollkommen gleichgültig ist. Zum Beispiel sein Gedicht »An eine Rose«. »Röschen, unser Schmuck veraltet, / Stürm’ entblättern dich und mich, / Doch der ew’ge Keim entfaltet / Stets zu neuer Blüthe sich.«
Es geht auch weniger romantisch. »Nur eine Rose als Stütze« hat die jüdische Lyrikerin Hilde Domin, keinen Garten, keinen Baum und keinen »Stuhl, in seinen wachsenden Schatten zu stellen«, und »der Pfosten der Tür« ist verbrannt, »an dem die Jahre der Kindheit Zentimeter für Zentimeter eingetragen waren.« Die Rosen Ingeborg Bachmanns werfen ihre Schatten unter einem fremden Himmel auf eine fremde Erde und bei Marie Luise Kaschnitz »fällt die Nacht wie ein Stein vom Himmel, schlägt dem Putto ins breite Gesicht und reißt ihm die Locken herunter.« Das Leben nimmt keine Rücksicht auf Rosenträume.
Anselm Feuerbach, Pfingstrosen. 1871
Über Jahrhunderte sind Rosen ein kostbares Luxusgut. Ihre Essenz, das Rösenöl, wird lange nur zur Herstellung von klösterlichen Heilmitteln und für Parfüms verwendet, die den königlichen Höfen Europas vorbehalten sind. Der Pariser Parfumeur Jean-Louis Fargeon ist noch Hoflieferant von Marie Antoinette – sein Rosenparfüm erinnert die Königin an die Gärten von Trianon, aus denen sie längst vertrieben ist. Nach der Revolution eröffnet sein Lehrling Pierre-Francois Lubin in der Nähe des Pariser Palais Royal ein erstes Geschäft und gibt ihm den Namen »Au Bouquet de Roses«. Das Rosenöl für seine Parfüms stammt aus dem südfranzösischen Städtchen Grasse und ist äußerst kostspielig. Für einen Liter nämlich braucht man drei bis vier Tonnen der »Rosa damascena«, deren Blüten von Hand gepflückt sein müssen. Das ist bis heute so.
Lubin beliefert noch Kaiserin Joséphine, den englischen König George IV und den russischen Zaren Alexander I., erreicht aber auch schon das neue wohlhabende Bürgertum. Vor allem in Amerika. Mit der Expansion des Hauses nach New York feiert Lubin seinen größten Erfolg. 1873 wird in Cannes die erste moderne Parfümfabrik gegründet, 1900 eine zweite in dem Pariser Vorort Courbevoie. Damit der ist Weg frei für die industrielle Produktion von Rosendüften. Noch immer stammt ein Teil der Rosenblüten aus Grasse, die meisten aber kommen heute aus Bulgarien, Marokko oder der Türkei.
Meine schönsten Rosendüfte sind »Rose Noir« von BYREDO, »Rose Gipsy« von DIOR und »Rose 31« vom New Yorker Label LE LABO, das noch ausschließlich handgepflückte Rosenblütenblätter aus Grasse verwendet.
Der Juni ist – neben dem November – mein Lieblingsmonat. Er ist so heiter und flüchtig im raschen Wechsel von Sonne und Wolken. Er ist so jung und schwerelos wie ein Falter, der zwischen den Blüten segelt. Er ist so lau und leicht wie die weißen Fäden des Löwenzahn, die der Wind vor sich herbläst und die im Lufthauch verwehen. Ein wetterwendisches Glück. Menschen und Juniwind ändern sich geschwind, heißt ein alter Spruch.
Im Juni beginnt das Grün zu dunkeln, und in seiner Tiefe wohnen namenlose Glücksgeister. Das Schönwetterlicht wirft freundliche Schatten, die Schwalben stürzen kopfüber von einem hellen Himmel. An meinem rostigen Zaun schlängeln sich die Wicken in Purpur und Rosarot, auf den Beeten blühen Hibiscus und Malven – nur den Rittersporn haben die Schnecken gefressen.
Von den einheimischen Wildrosen, vor allem von der Heckenrose oder Hundsrose, kommt die Farbe Rosa: rōsic oder rōse(n)rōt. Diese Rose gehört der Liebesgöttin Freya aus der nordischen Mythologie, deren heiliger Hain von der Hundsrose umschlossen wird, die ihre hellen Blüten für ein paar kurze Juniwochen über die Hecken spannt. Das Rosige ist weiblich. In der Schönheit, der Mode und überhaupt.
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Mehr zum Monat Juni, zu Rosen und Gärten, steht in meinem Buch über »Die Wurzeln unserer Kultur. Natur, Kunst, Mythologie, Feste und Bräuche im Jahreslauf«. Erschienen 2017 im Europa Verlag.