Ein Garten an einem Junitag ist wie ein Gedicht, wie ein Versprechen, wie ein früher Traum. Sind nicht alle Gärten seit Anbeginn ein Traum vom verlorenen Paradies?
Es gibt wirkliche Gärten und es gibt erträumte. Und es ist ganz gleich, wie der Dichter Hugo von Hofmannsthal weiß, ob ein Garten klein oder groß ist: »Was die Möglichkeiten seiner Schönheit betrifft, so ist seine Ausdehnung so gleichgültig, wie es gleichgültig ist, ob ein Bild groß oder klein, ob ein Gedicht zehn oder hundert Zeilen lang ist.«
Hier sollten Rosen stehen. Märchenhafte Kletterrosen, die an verwitterten Steinbögen sich winden und niederstürzen, üppige Strauchrosen mit schweren Zweigen, Damaszenerrosen und Hundsrosen, schmetterlingsgleiche chinesische Rosen und gestreifte Bourbonrosen. Myriaden von Rosenblättern, die glühen, sich entzünden und wieder vergehen. Ein Duft wie dunkler Honig.
Auch sollte es eine steinerne Bank geben mit Moosen und Flechten und Löwenfüßen unter einer alten Trauerweide. Gegen Abend fiele der Blick über weite Wiesen, die sanft hinabfallen bis zum See. Nachtklares Wasser, uralte Bäume, die am Ufer dämmern. Und der hohe Rhododendron zöge eine immergrüne Mauer.
Ohne Mauer oder Zaun gibt es keinen Garten. Der Garten ist der »hortus conclusus«, das verschlossene und umfriedete Refugium. Die Mauer bietet Schutz und Zuflucht. Schon der paradiesische Garten ist hermetisch umschlossen – jenseits der Mauer ist Wüste. Im Altpersischen bedeutet das Wort Paradies »pairi-dae´-za« nichts anderes als »Umzäunung«.
Die Geschichte des Gartens spiegelt die Kulturgeschichte des Menschen, spiegelt sein Verhältnis zur Natur und zu sich selbst. Die ersten Gärten kommen aus dem Mythos, aus dem ewigen Traum vom Paradies. Aus dem griechischen Mythos etwa stammt der wundersame Garten der Hesperiden, aus dem Herakles mit List und Gewalt die drei Äpfel raubt, die Früchte der Grazien, deren Genuss nicht Strafe und Vertreibung, sondern ewige Jugend und Unsterblichkeit zur Folge hat.
Einen ersten Höhepunkt findet die Gartenkunst Europas in der Renaissance. Die Gärten um die Stadtvillen und Landhäuser des italienischen Adels setzen den Maßstab. Berühmt sind die Gärten der Medici in Florenz mit ihren kunstvollen Terrassen, Treppen und Grotten, ihren Springbrunnen und Statuen, den Wasserspielen, Zypressenalleen und Zitrusgewächsen.
Die französische Gartenkunst folgt dem italienischen Beispiel. Von einem Feldzug 1494 bringt König Karl VIII. mehr als zwanzig italienischen Künstler mit – Architekten, Gärtner, Tapezierer und Zeltmacher. Der Garten des Schlosses Amboise, der noch mittelalterlich anmutet, wird als erster umgestaltet. Später, unter Ludwig XII., werden die prachtvollen Gärten von Blois und Gaillon angelegt, noch später die Renaissancegärten der Schlösser Chambord und Fontainebleau.
Auch nördlich der Alpen läßt der Adel prachtvolle Gärten nach italienischem Vorbild anlegen. Bemerkenswert ist der Garten, den der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Rudolf II. auf dem Hradschin in Prag errichten läßt – mit Hirschgraben, singender Fontäne und Orangerie. Hier wachsen Granatäpfel, Zitronen und Pomeranzen, auch die erste Tulpe Europas blüht in diesem Garten.
Im Barock wird der Garten in die geometrische Ordnung gezwungen. Mit Beginn des 17. Jahrhunderts dominieren axiale Symmetrie, präzise Alleen, Quartiere und Arabesken: Der absolutistische Herrscher befiehlt selbst der Natur. Die Pflanzen werden gestutzt, geschnitten und gezüchtigt.
Die barocken Gärten sind auf Repräsentation angelegt: Sie sind der Hintergrund für die prunkvollen Festlichkeiten der höfischen Gesellschaft. Die Blumen und Buchsbäumchen, zu Monogrammen und Wappen gepflanzt, verkünden die Herrlichkeit des Hausherrn.
Mit dem Niedergang des absolutistischen Regimes wird auch der Garten von seiner Repräsentationspflicht befreit. Der barocke Hofgarten wird der Natur zurückgegeben, dem englischen »Trend« und dem Rousseauschen »Zurück zur Natur« folgend. Im 18. Jahrhundert entstehen in ganz Europa Landschaftsgärten nach englischem Vorbild, idealisierte Bilder einer unberührten Natur, die die neuen Ideale – Freiheit, Einfachheit und ländliches Leben – in Gartenmode übersetzen.
In Wörlitz, am Ufer der Neiße, legt der Herzog Franz von Dessau ab 1769 einen »Englischen Garten« von nie gesehener Größe und Pracht an. Um einen See entstehen von Wasser umflossene Gärten mit dichtbelaubten Bäumen, Brücken und Kanälen, mit einer Einsiedelei, einem italienischen Bauernhaus und einem antiken Venustempel.
Auch Goethe reist nach Wörlitz und erlaubt sich, den Herzog, »dem die Götter gestattet haben, einen Traum um sich herum zu schaffen«, sehr zu beneiden. Wörlitz ist das Vorbild für den Weimarer Park und die Kulisse von Goethes »Wahlverwandschaften« – die Sichtachsen und Aussichtspunkte des Gartens sind das glückliche Gegengewicht zum tragischen Geschick der Helden.
Im 19. Jahrhundert gewinnt neben den großen Parkanlagen des Adels auch die kleine Gartenwelt des Bürgertums an Bedeutung. Goethe bewundert zwar die Größe der Wörlitzer Gartenkunst, doch sein eigenes Gartenhäuschen bleibt bescheiden – einige Blumenbeete und Bäume, ein Laubengang. »Weit und schön ist die Welt«, schreibt der Dichter im Jahre 1827. »Doch bringet mich wieder nach Hause! Was hat ein Gärtner zu reisen«?
Der Garten wird zunehmend zu einem privaten Ort des Rückzugs und der Häuslichkeit. Der Garten verwandelt sich in eine bürgerliche Idylle. Und selbst inmitten der Großstadt bleibt er ein Abglanz vom Paradies. Noch gegen die entzauberte Welt der Moderne steht der Zauber der Gärten.
Gärten sind die letzten Zufluchten der stadtmüden Künstler, der englischen Schriftstellerin Vita Sackville-West in Sissinghurst Castle, des Malers Claude Monet in Giverny oder Max Liebermanns Garten am Wannsee in Berlin – lichtdurchflutete Paradiese mit hohen Hecken und Bäumen, mit blaßvioletten Glyzinien, Clematis und einem Seerosenteich. Eine makellose Oberfläche, ein geformter Traum. Doch der Traum währt nicht.
»Nur eine Rose als Stütze« hat die jüdische Lyrikerin Hilde Domin, keinen Garten, keinen Baum und keinen Stuhl, in seinen wachsenden Schatten zu stellen. Die Blumen Ingeborg Bachmanns werfen ihre Schatten unter einem fremden Himmel auf eine fremde Erde, und bei Marie Luise Kaschnitz »fällt die Nacht wie ein Stein vom Himmel, schlägt dem Putto ins breite Gesicht und reißt ihm die Locken herunter.«
Die Sehnsucht nach einem Garten, nach einem winzigen Stück Natur inmitten von Stadt und Steinen, ist bis heute ungebrochen. Wer einen Garten hat, der kann ein kleines Stück Erde, einige Quadratmeter nackten Bodens, zu seinem eigenen Paradies machen.
Wo können wir heute noch niederknien und uns dreckig machen? Wo können wir die Natur und den Kreislauf des Lebens noch mit den Händen fassen? Wo den Geruch von Blühen, Verwelken und Sterben wahrnehmen? Wo können wir uns aus der zerstreuten Zeit lösen und in zeitlosen Zyklen leben? Im Garten!
Beitragsbild © Cindy Sherman, Untitled Film Still #47, 1979. From the series “Untitled Film Stills,” 1979–80
Mehr zum Garten und zur Geschichte der Gärten steht in meinem Buch über »Die Wurzeln unserer Kultur. Natur, Kunst, Mythologie, Feste und Bräuche im Jahreslauf«. Erschienen 2017 im Europa Verlag.