Sicher. Die Vogue ist die Vogue. Doch Franca Sozzani hat aus der altehrwürdigen Fashion-Bibel ein aufregendes Blatt gemacht – manchmal verwirrend, oft provokant, immer glamourös.
Fast 30 Jahre lang war Franca Sozzani Chefredakteurin der italienischen Vogue. Fast eine Generation. Schon mit ihrer ersten Ausgabe im Juli/August 1988 erschütterte sie das arrivierte Magazin mit einem sepiagetönten Schwarzweiß-Cover von Steven Meisel und einer einzigen Titelzeile – »Il Nuovo Stile«.
»Extravagant, experimentell, innovativ«. So sollte die Vogue künftig sein. Und so wurde sie auch. Franca Sozzani war eigenwillig genug, sich ihren »Stile« nicht diktieren zu lassen – nicht von anderen und auch nicht von der »Mode«.
Sie hatte Literatur und Philosophie studiert und wußte, dass Mode keine singuläre Erscheinung ist, sondern mit Kunst und Kultur kommuniziert, mit ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen, mit Zeitgeist und Zukunft. »Who Is On Next?«
Franca war auch mutig. Mutig genug, mit Hilfe der Mode über die Obsessionen der Modewelt und andere kontroverse Themen zu diskutieren.
Über »Anti Aging« etwa. Den zeitgenössischen Jugendwahn und die Selbstoptimierung durch plastische Chirurgie hat Franca Sozzani im Juli 2005 in einer aufsehenerregenden Modestrecke thematisiert. »Makeover Madness« ist der Titel der Strecke, die Steven Meisel bildgewaltig in Szene gesetzt hat.
Models in tief dekolletierten Abendkleidern und mit weiß bandagierten Köpfen, luxuriöse Hotelzimmer und blutige Tupfer, ein halbnackter Körper mit Pelzstola und OP-Markierungen auf Bauch und Beinen, eine Injektionsnadel unterm Vergrößerungsspiegel, Rollstühle, schmerzverzerrte Gesichter, High Heels und teure Kostüme. Das sorgt für Aufregung und Irritationen? Soll es auch.
Franca Sozzani kam nicht mit Moral, sondern mit Ästhetik. Die Bilder sind radikal und gleichzeitig glamourös. Sie sind anspruchsvoll, setzen einen neuen Maßstab in der Modephotographie und machen den Stil der italienischen Vogue weltberühmt.
Journalismus und Hochglanz-Modemagazin? Für Franca kein Widerspruch. Als 2010 die Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko explodiert, hebt sie umgehend eine Modestrecke mit dem Titel »Water & Oil« ins Blatt.
Model Kristen McMenamy auf einen kahlen Felsen gespült, nahezu leblos, mit schwarzem Teer überzogen. Auch das Licht ist geschwärzt, mit Kohlenstoff, Benzin, Anthrazit und Graphit. Auf dem Cover der Ausgabe steht »The Latest Wave«. Das sorgt für Diskussionen? Perfekt! Je mehr Diskussion, desto besser.
Im April 2014 wieder eine sensationelle Modestrecke. Im »Horror Movie« geht es um häusliche Gewalt. Was das mit Mode zu tun hat? Mal abgesehen von den Designer-Outfits der Models? Alles! »In der Mode geht es nicht wirklich um Kleidung«, hat Franca einmal erklärt. »Es geht um das Leben«.
All diese Bildstrecken übrigens hat Steven Meisel photographiert. Seit dem ersten Cover gehörte Meisel zum engsten Kreis um Franca Sozzani, die den damals noch unbekannten Künstler zum Star machte.
Überhaupt förderte Franca von Anfang an aufstrebende Photographen wie Mario Testino, Paolo Roversi, Bruce Weber und Peter Lindbergh. Unter ihrer Regie entwickelte die italienische Vogue eine globale Bildsprache und einen Einfluss, der weit über die relativ kleine Auflage des Magazins hinausging.
Mit ihrer zarten Figur und ihren langen blassblonden Locken war Franca Sozzani eine fast ätherische Erscheinung. Doch man durfte sich davon nicht täuschen lassen. Sie war kein Püppchen, sondern eine Persönlichkeit – stark, selbstbewusst und unabhängig.
Sie war freundlich, aber unbeugsam. Sie hörte zu, aber ging ihren eigenen Weg. Sie gab ihren Photographen eine beispiellose redaktionelle Freiheit, aber blieb immer der »Boss«. Eine »Stahlfaust in Samthandschuhen«, befand Tim Blanks, Chefredakteur der Modewebsite »The Business of Fashion«.
Franca war leidenschaftlich und kämpfte persönlich für die Dinge, die ihr wichtig waren. Sie setzte sich vehement gegen Magersucht ein, promotete schon früh schwarze Models. Für die Vereinten Nationen übernahm sie humanitäre Ehrenämter, sie war Botschafterin von »Fashion 4 Development« und kämpfte vor allem in Afrika gegen Armut und für die Bildung von Frauen und Mädchen. Ihr Statement: »Giving back is the new luxury.«
Für ihren humanitären Einsatz erhielt sie 2012 den Verdienstorden »Légion d’honneur« und noch kurz vor ihrem Tod im Dezember 2016 den »Swarovski Award for Positive Change«.
Man darf nie versuchen, jemand anderes zu sein. Das macht Stress und geht immer schief. Franca Sozzani spielte auch modisch nach ihren eigenen Regeln.
Ihr persönlicher Stil? Fashion natürlich, aber elegant und feminin. Gerne knielange schwarze Kleider mit Mänteln und schmale Bleistiftröcke mit spitzen Pumps oder Kitten-Heels, vielleicht auch einen schlichten Cashmere-Pulli zu einem goldenen Brokatrock.
Es durfte auch mal ein großkarierter Mantel sein, bunte Ethno-Stickerei oder ein weinrotes Spitzenkleid mit rotem Satinmantel und bunten Blumen. Mode ist auch ein Traum. Und »beim Träumen darf man nicht sparen. Träume müssen groß sein«.
Eine Auswahl aus ihrer privaten Garderobe wird derzeit online auf yoox.com verkauft – Kleider, Mäntel, Schuhe. Der Erlös geht an den »Franca Sozzani Fund for Preventive Genomics« am «Brigham and Women’s Hospital« in Boston, der sich für genetische Vorsorgescreenings einsetzt.
Beitragsbild © Peter Lindbergh
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