Federn, Pelze, Blumen, Vögel, Schmetterlinge, Schlangenhaut. Die Mode hat sich seit je von der Natur inspirieren lassen. Hat sie dargestellt, imitiert, benutzt und geplündert.
Das Verhältnis von Mode und Natur ist kompliziert. Der Mensch hat ein symbiotisches und zugleich seltsam einseitiges Verhältnis zur Natur. Er braucht die Natur, aber die Natur braucht ihn nicht. Er braucht die Felle der Tiere, um nicht zu erfrieren, er braucht Fleisch, Früchte und Fisch, um nicht zu verhungern. Die Natur bleibt davon unberührt – zumindest für eine sehr lange Zeit.
Abandoned Ostrich Egg, Amboseli 2007 © Nick BrandtFächer aus Schildkrötenpanzer und südafrikanischen Straußenfedern, England 1880-1900 © Victoria and Albert Museum, London
Schon früh dient die Natur nicht nur dem Überleben, sondern auch der Schönheit und dem Status. Man schmückt sich mit Federn und Vogelköpfen, man färbt Stoffe mir Kermesschildläusen und Purpurschnecken, man macht schimmernde Gewebe aus den Kokons der Seidenraupe.
Im 16. Jahrhundert kommen die zerstückelten Häute von Paradiesvögeln aus Ostindien an den Hof von Kaiser Karl V. von Spanien. Damit steigt die Lust auf die unbekannten Wunder ferner Länder – je exotischer, desto besser. Man tötet Millionen tropische Albatrosse, um aus den weichen Brustfedern wärmende Muffs zu fertigen, man jagt brasilianische Türkisnaschvögel, um irisierenden Schmuck herzustellen, man sammelt asiatische Smaragdkäfer, um die glitzernden Panzer auf Kleider zu sticken, man schlachtet kanadische Robben, weil das Fell so seidig ist. Von den drei Millionen Robben im Jahre 1880 sind zwanzig Jahre später nur noch 300000 übrig.
Abendkleid mit Efeu und Blumen um 1897 © Victoria and Albert Museum, LondonAbendkleid mit Leopardenmuster aus Perlen von Jean Paul Gaultier / Vogelschuhe von Masaya Kushino aus Nilkrokodil, vergoldetem Metall und Hahnenfedern © Victoria and Albert Museum, London
Spätestens seit der Renaissance werden die Formen der Natur auf Kleidung übertragen. Die Mustergestalter lassen sich von Herbarien und illustrierten Büchern inspirieren, später von den botanischen Gärten. Als 1828 zum ersten Mal eine seltene Blüte aus Übersee im botanischen Garten in Kew in Surrey blüht, taucht sie wenig später als Druck auf einem Kleid auf. Auch Algen und Korallenriffe, Äffchen und tropische Vögel sind beliebte Motive.
Die Natur ist das Vorbild. Für den Menschen ist die Natur über Jahrtausende das Maß aller Dinge. Auch das Maß für Schönheit und Ästhetik. Die Natur ist immer perfekt – die Formen von Kreisen, Wellen, Blüten oder Blättern sind vollkommen. In der Natur gibt es keine verunglückten Proportionen und keine falschen Farben.
Art Forms In Nature, 1929 © Karl Blossfeldt Mantel mit Blättern und Landschaft / Kleid mit Amphibien-Print © Victoria and Albert Museum, London
Das »Victoria and Albert Museum« in London zeigt derzeit eine Ausstellung über den Einfluss der Natur auf die Mode. »Fashioned from Nature« beleuchtet den Ursprung und die Materialien von Kleidung der letzten Jahrhunderte. Aber sie zeigt nicht nur die Vergangenheit. Sie stellt auch die Frage, wie wir heute mit der Natur umgehen und verweist auf die verheerenden Auswirkungen vieler modischer Trends – auf die Nachfrage nach Elfenbein, Pelzen, exotischen Federn und den Häuten von Tieren, die vom Aussterben bedroht sind.
»Nachhaltigkeit« ist derzeit ein beliebtes Schlagwort, doch die Massenproduktion spricht eine andere Sprache. »Fashioned from Nature« zeigt die Realität am Beispiel eines T-Shirts. Ein einzelnes T-Shirt braucht 2720 Liter Wasser und reist einmal um den Globus, bevor es dann für wenige Euro in den Läden der internationalen Modeketten hängt. Die Baumwolle kommt aus den USA, gesponnen wird in Kolumbien und Indonesien, genäht in Bangladesch. Bedruckt und etikettiert wird in Europa oder Amerika.
Der wohlhabende westliche Mensch hat ein merkwürdiges Verhältnis zur Natur. Auf der einen Seite hat er die Natur in einem nie bekannten Ausmaß vergewaltigt, verdreckt, ausgebeutet und zerstört. Er hat gigantische Waldgebiete abgeholzt, die Ozeane verschmutzt, begrenzte Ressourcen verschwendet, die globale Temperatur mit Treibhausgasen in beispiellose Höhen getrieben und ungezählte Tier- und Pflanzenarten unwiderruflich ausgerottet. Viele natürliche Wildbiotope haben sich längst in Abraumhalden verwandelt.
In seiner Bilderserie »Inherit The Dust« stellt der britische Photograph Nick Brandt großformatige Porträts von Wildtieren an jenen Orten auf, an denen sie einst zu Hause waren. Alleyway With Chimpanzee, 2014 © Nick BrandtInherit The Dust. Road With Elephant, 2014 © Nick Brandt
Auf der anderen Seite wird die Natur neuerdings verklärt und überhöht. Je weniger unberührte Natur es gibt, desto stärker wird sie idealisiert. Plötzlich soll alles wieder »natürlich« sein. Vor allem in den städtischen Ballungsgebieten, in denen die »Natur« aus dem Supermarkt kommt, hat sich eine ökologische Naturromantik etabliert, die wie eine Glaubenslehre daherkommt.
Man ruft nach ökologisch einwandfreien Lebensmitteln, fragt aber nicht, ob man die Weltbevölkerung von aktuell 7,5 Milliarden Menschen mit Bio-Gemüse und freilaufenden Hühnern ernähren kann. Man ruft nach sauberer Luft und sauberem Wasser, verschiebt aber den Dreck, den Müll und die Umweltgifte in die armen und wenig entwickelten Länder – nach Asien, Afrika und Südamerika. Von den dortigen Löhnen und Arbeitsbedingungen nicht zu reden.
Auch vergißt man gern, dass der neue Reichtum in Russland und China keine Jutebeutel, keine »Save the Arctic«-Shirts und keine Kleider aus recycelten Plastikflaschen haben will, sondern Handtaschen aus Straußenleder, Pumps aus Python und kostbare Diamanten, Pelze und Federn.
Alexander McQueen Spring/Summer 2001 / Voss Show
Der 2010 verstorbene Designer Alexander McQueen hat das moderne Verhältnis von Natur und Mode auf beeindruckende Weise reflektiert – verstörend und provokant. In seinen Shows sitzen Hirschgeweihe und Raubvögel auf den bandagierten Köpfen der Models, in seinen Kampagnen verfangen sich zerbrechliche Mädchen in riesigen Nestern aus Dornen.
Alexander McQueen Fall/Winter 2008 ad campaign © Craig McDean
Sein Kleid aus der Serie »Platos Atlantis« imaginiert eine im Wasser versunkene Welt, in der sich der Mensch zu einer amphibischen Kreatur zurückentwickelt. Und auch seine Abendrobe aus schwarzen Entenfedern ist eher apokalyptisch als glamourös.Alexander McQueen, Kleid aus schwarzen Entenfedern. Fall/Winter 2009Kristen McMenamy in »Water & Oil« © Steven Meisel / Vogue Italia 2010
Am Ende ist die Frage nach der Zukunft der Mode auch eine Frage nach der Zukunft des Planeten. Da klingt der Satz des amerikanischen Architekten Frank Lloyd Wright wie ein Gebet. »Study nature, love nature, stay close to nature. It will never fail you«.
FASHIONED FROM NATURE
April 21, 2018 – January 27, 2019
Victoria and Albert Museum
Cromwell Rd, Knightsbridge
London SW7 2RL
Daily 10.00 – 17.45 Friday 10.00 – 22.00
Beitragsbild © Alexander McQueen Spring/Summer 2001 / Voss Show