»Er und ich gehören nicht zu derselben Welt«, schreibt der Designer in seiner Autobiographie »Christian Dior & moi«, die 1956 erscheint. Er und ich – das sind der Erfolgreiche und der Einsame, der weltberühmte Couturier und der sensible Träumer.
Beinahe wäre er Maler geworden, fast Galerist geblieben. Doch Carmel Snow, Chefredakteurin der amerikanischen Harper’s Bazaar, die einen untrüglichen Instinkt für außergewöhnliche Talente besitzt, beauftragt Dior schon Mitte der Dreißigerjahre, lange bevor er sein eigenes Modehaus gründet, mit Modezeichnungen für das Magazin.
Snow prägt auch den Begriff »New Look«, mit dem Diors Karriere seit seiner ersten Kollektion 1947 in schwindelnde Höhen steigt. Nach der Schau gratuliert sie Dior mit dem Ausruf : »It’s quite a revolution, dear Christian. Your dresses have such a new look!«
Der »New Look« verändert alles. 1947 riecht Paris noch immer nach Staub und Schmutz, nach Kohlefeuern und gekochtem Kohl. Der Krieg ist zwar vorbei, doch die Städte sind zerstört und die Mode ist auf der Strecke geblieben. Dior will die verlorene Schönheit zurückbringen, die Weiblichkeit und die Romantik.
Dem amerikanischen Magazin »Time« sagt er: »Ich habe die Frauen wieder zu Blumen gemacht, mit weichen Schultern, erblühenden Brüsten, Taillen schmal wie Weinranken und Röcken, die sich wie Blütenkelche öffneten«.
Mit seinen Maiglöckchen-Silhouetten, den luxuriösen Stoffen und opulenten Abendroben träumt sich Dior in eine vergangene, verlorene Welt – fernab von der Armut und den Entbehrungen der Nachkriegszeit. Auch wenn einige Zeitgenossen seine verschwenderischen Märchenträume lächerlich, reaktionär oder gar unmoralisch finden – die Frauen lieben ihn dafür.
Vor allem sein berühmtes »Bar Jacket« mit Wespentaille und üppigem Schößchen avanciert zur Ikone des »New Look«. Das »Bar Jacket«, von Christian Dior so genannt, weil es zur Cocktailstunde an der Bar eines Grand Hotels getragen werden soll, setzt die weibliche Figur perfekt in Szene.
Träume kosten nichts. Im Gegensatz zu einem Kleid von Dior. Von Anfang an macht das den Zauber seiner von Hand gefertigten und fast unerschwinglichen Kreationen aus. Nur sehr wenige Menschen können sie besitzen, aber alle dürfen von ihnen träumen.
»Christian Dior. Designer of Dreams« lautet nicht zufällig der Titel der großen Ausstellung, die das Londoner »Victoria and Albert Museum« derzeit präsentiert. In mehr als 500 Entwürfen erzählt die Schau die Geschichte des Hauses von 1947 bis heute. Noch bis Mitte Juli sind nicht nur glanzvolle Abendroben und Haute Couture zu sehen, sondern auch Schuhe, Handschuhe und Parfums.
Für Christian Dior übrigens ist Eleganz keine Frage des Geldes. 1954 schreibt er sein »Kleines Buch der Mode«, einen praktischen Begleiter von A wie Absätze bis Z wie Zelebrieren. Darin heißt es: »In Wirklichkeit kann jede Frau elegant sein, ohne dass sie sich dafür in Unkosten stürzen müsste. Sie muss lediglich den Grundregeln der Mode folgen, ihre Kleider sorgfältig auswählen und darauf achten, dass sie zu ihrer Persönlichkeit passen. Stil beruht auf Schlichtheit, gutem Geschmack und Pflege, und all das kostet kein Geld«.
Doch Christian Dior ist nicht nur ein Träumer. Der Sohn eines Großindustriellen besitzt selbst genug unternehmerisches Gespür, um sein Modehaus zu einer internationalen Luxusmarke zu machen. Seine Adresse in der Avenue Montaigne 30 wählt er aus, weil das Haus eine schlichte Eleganz ausstrahlt und überdies in der Nähe der großen Hotels liegt – ideal für seine Kundinnen aus dem Ausland.
Viele dieser Kundinnen stammen aus irgendeiner »Traumfabrik«. Marlene Dietrich trägt 1950 ein Kostüm von Dior in Alfred Hitchcocks Thriller »Stage Fright«, Grace Kelly feiert ihre Verlobung mit Fürst Rainier III. von Monaco 1956 im New Yorker Waldorf Astoria in einer schulterfreien Robe von Dior. Prinzessin Margaret posiert 1951 in einem Ballkleid von Dior vor der Linse des Gesellschaftsphotographen Cecil Beaton, Marilyn Monroe trägt bei ihrem letzten Shooting mit dem Modephotographen Bert Stern ein schwarzes Kleid von Dior.
Christian Dior erkennt schon früh die Macht der Photographie. Gleich seine ersten Kollektionen lässt er von dem amerikanischen Modephotographen Clifford Coffin in Szene setzen – das Bild eines Models in rauschender Seidenrobe zwischen den Säulen eines königlichen Gemäuers ist wie ein Gleichnis. Damit nimmt Dior die »Sissi«-Träume vorweg, die wenige Jahre später die Kinos erobern.
Dior versteht als erster Couturier, dass Mode eine Projektionsfläche für Sehnsüchte und Träume ist. Seine luxuriösen Entwürfe können sich nur wenige Frauen leisten, doch die vielen ikonischen Bilder in People- und Fashion-Magazinen gehen in das kollektive Gedächtnis ein und machen die Marke zum Inbegriff französischer Noblesse.
Photographen wie Irving Penn, Patrick Demarchelier, Erwin Blumenfeld, Helmut Newton oder Peter Lindbergh destillieren die Sehnsüchte ihrer Zeit und prägen Diors »Images de légende«. Oft wird die Mode in historischem Ambiente inszeniert – der luxuriöse Lebensstil und die Raffinesse des 17. und 18. Jahrhunderts unterstreichen die Ästhetik des Hauses.
Der wichtigste Photograph für Christian Dior selbst ist der New Yorker Richard Avedon. Er sorgt für den Kontrast. Avedon lichtet Diors träumerische Kreationen an Orten ab, die alles andere als träumerisch sind – in den Straßen von Paris, zwischen Händlern, Trinkern und Feuerwehrmännern. Eines seiner berühmtesten Photos zeigt das amerikanische Model Dovima in einem Abendkleid von Dior zwischen zwei Elefanten vor den grauen Stallwänden im Cirque d’Hiver.
Als Christian Dior 1957, nur zehn Jahre nach seiner ersten Kollektion, im toskanischen Kurort Montecatini einem Herzinfarkt erliegt, weint nicht nur die Modewelt. Tausende säumen die Straße zur Kirche Saint-Honoré d’Eylau, der Place de l’Etoile versinkt in einem Blumenmeer. Frankreich hat seinen Großmeister der Eleganz verloren.
Bis 1960 ist Christian Diors junger Assistent Yves Saint Laurent der kreative Kopf des Hauses. Im Laufe der Jahrzehnte entwickeln Designer wie Marc Bohan, Gianfranco Ferré, John Galliano und Raf Simons den berühmten »Code Dior« weiter.
Seit 2016 ist die italienische Designerin Maria Grazia Chiuri die Kreativdirektorin. Sie teilt Diors Passion für »Tailoring« und perfekte Schnitttechnik. »Als ich das erste Mal im Archiv die Vielfalt des Hauses entdeckte, wurde mir bewusst, wie anspruchsvoll das Savoir-faire dieser Couture eigentlich ist«.
Maria Grazia Chiuri hat Dior – einmal mehr – zu einer begehrenswerten Marke gemacht. Aktuell und zeitgemäß, doch in der spezifischen Handschrift des Hauses. Das »Miss Dior«-Kleid und das legendäre »Bar Jacket« gibt es jetzt wieder. Träume sterben nicht.
CHRISTIAN DIOR: DESIGNER OF DREAMS
Victoria and Albert Museum
Cromwell Rd, Knightsbridge
London SW7 2RL
Bis zum 1. September 2019
Beitragsbild © Yousuf Karsh
Herrlich,wunderbar,toll !!!!
Magnifique,merveilleux,j‘adore !!!!
Vielen herzlichen Dank! Freue mich sehr!!!