Lange ist er ausschließlich den Herren vorbehalten. Erst Marlene Dietrich tritt 1930 in ihrem Hollywoodfilm »Morocco« in einem Anzug auf und macht den maskulinen Look zum Kult. Sie trägt Frack und Zylinder, raucht Zigaretten und verführt im Vorübergehen eine andere Frau.
Auch privat trägt die Dietrich am liebsten Anzug. Mit platinblondem Haar und dunkelrotem Lippenstift, mit Krawatte und flachen Schuhen. Was ihr 1933 noch eine Verwarnung der Pariser Polizei einbringt. In der französischen Hauptstadt nämlich muss eine Frau, die Männerkleidung zu tragen wünscht, zuvor eine Bewilligung der Präfektur einholen. Das Verbot nützt wenig – Marlene wird zum Vorbild einer ganzen Generation. Plötzlich hängen weiße Hemden, Hosen und Blazer in den Garderoben der Damenwelt.
Marlene Dietrich an Bord der SS Europa, 1933 © Paul Cwojdzinski
Der Bruch mit den herrschenden Stereotypen ist mehr als die bloße Lust am Skandal. Die Dietrich betont, dass sie eine aufrichtige Vorliebe für Männerkleidung habe und sie nicht nur trage, um sensationell zu wirken. »Ich finde, dass ich in Männerkleidern anziehend wirke. Außerdem gestattet einem diese Kleidung vollkommene Freiheit und Bequemlichkeit, was ich von Frauenkleidern und Röcken nicht behaupten kann.«
Der Anzug ist bequemer und praktischer als Korsage und enge Taille. Man kann darin große Schritte machen, schnelle Autos fahren oder Propellermaschinen fliegen. Die neue Freiheit endet mit Weltwirtschaftskrise und Krieg allerdings zunächst einmal. Zwar öffnet sich für Frauen kurzfristig der Arbeitsmarkt, da sie die fehlenden männlichen Kräfte in Fabriken und an Fließbändern ersetzen müssen, doch nach Kriegsende kehren die alten Geschlechterrollen noch einmal zurück. Die Männer im Anzug sind wieder die Ernährer und Versorger der Familie, die Frauen, in adretten Kleidern und Röcken, kümmern sich um Haushalt und Kinder.
YSL Saint Laurent © Hedi Slimane
Die Vorliebe für Männerkleider und die Faszination des Androgynen aber sind nicht aus der Welt. 1966 zeigt der französische Modeschöpfer Yves Saint Laurent wieder einen Anzug für Damen. »Le Smoking« ist ein extravaganter Abendanzug – männlich, aber erotisch und verführerisch. Man trägt ihn mit weißem Hemd und schwarzer Fliege, mit Seidenbluse oder nackter Haut. »Le Smoking« beweist, dass ein Anzug sexy und elegant aussehen kann. Er trifft den Zeitgeist und ist auch fünfzig Jahre später noch ein großartiges Outfit für glamouröse Auftritte.
In den 80er Jahren wird der Anzug endgültig gesellschaftsfähig. Er ist »the look« schlechthin und steht für weibliche Power und beruflichen Erfolg. Die aufstrebenden Businessfrauen der Achtziger machen den Anzug zu einem unverzichtbaren Statement. In dem Hollywoodfilm »Working Girl« von 1988 spielt Melanie Griffith eine ambitionierte Sekretärin, die mit »männlichen« Tugenden wie Ehrgeiz, Körpereinsatz und Skrupellosigkeit zur Managerin aufsteigt. Seither werfen sich Frauen in männliche Anzüge, verflachen die Schuhe, verbreitern die Schultern und klemmen sich Aktentaschen unter den Arm. Seither suchen sie in irgendwelchen Büros oder Geschäften nach Erfolg, Anerkennung und Selbstverwirklichung.
Auch die Hamburger Modedesignerin Jil Sander trägt Anfang der 80er noch breite Schultern. Erst später werden ihre Anzüge schmaler und eleganter. In den 90ern hängt ihre »Uniform«, eine weiße Bluse, ein schmaler Hosenanzug und ein schlichter Blazermantel, im Kleiderschrank fast jeder Frau.
1992 startet Donna Karan ihre berühmte und im kollektiven Gedächtnis fest verankerte Werbekampagne „In Women We Trust«. Photograph Peter Lindbergh inszeniert das Model Rosemary McGrotha als die neue weibliche US-Präsidentin, die einen erfolgreichen Wahlkampf führt und schließlich vereidigt wird. Im Nadelstreifenanzug und mit Perlenkette. »Dress for Success«. Der Anzug signalisiert Selbstbewusstsein, Macht und den Triumph des Weiblichen in einer männerbeherrschten Welt – in Männerkleidern.
© Peter Lindbergh / DKNY
Darf man heute, nach dreißig Jahren, mal fragen, ob es wirklich erstrebenswert ist, nach dem zu jagen, was eine männlich geprägte Gesellschaft eine »Karriere« nennt? Ist es wirklich befriedigend, im Eiltempo das Leben zu durchmessen – atemlos und erschöpft, gehetzt und getrieben, ständig im Stress? Darf man mal fragen, warum Gleichberechtigung noch immer mit Gleichmacherei verwechselt wird? Was bedeutet weibliche Emanzipation eigentlich, wenn sie sich in der Nachahmung und Imitation von alten männlichen Rollenbildern erschöpft, die heute selbst für viele Männer nicht mehr passen? Aber das nur am Rande.
Abgesehen von »Le Smoking« ist der Anzug heute ziemlich aus der Mode gekommen. Er hat längst nichts Rebellisches oder gar Skandalöses mehr. Wenn Designerin Miuccia Prada gelegentlich noch mal Anzüge zeigt – im Pyjama-Stil, mit knöchelkurzen Hosen, Fell oder groben Mustern und Schuhen – dann hat das mit Büro und Business nichts mehr zu tun.
Prada Fall/Winter 2015 ad campaign © Steven Meisel
Der Anzug ist heute nur noch ein alltäglicher und ganz gewöhnlicher Hosenanzug, der vor allem von älteren Politikerinnen bevorzugt wird – von Hillary Clinton bis zur deutschen Kanzlerin. »In Women We Trust«?
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