»Less is more«. Das berühmte Mantra des Minimalismus stammt von dem deutsch-amerikanischen Architekten Ludwig Mies van der Rohe, der mit seinen reduzierten und geometrisch geordneten Formen die Moderne wesentlich geprägt hat.
Sein Barcelona-Pavillon auf der Weltausstellung 1929 gilt als eines der bedeutendsten Werke der avantgardistischen Architektur überhaupt.
Minimalistische Architektur aber ist keine Erfindung der Moderne. Auch in früheren Epochen suchen Baumeister und Architekten nach klaren Geometrien und einer Reinheit der Form. Der deutsche Maler und Architekt Leo von Klenze etwa, der neben Karl Friedrich Schinkel als der bedeutendste Architekt des Klassizismus gilt, setzt dem dekorationsverliebten Barock und Rokoko ein strenges Gestaltungsprinzip entgegen.
Der Klassizismus besinnt sich auf den geometrischen Formenkanon des griechischen Tempelbaus – auf rechte Winkel und gerade Linien, auf dreieckige Giebelflächen und klassisch geordnete Säulengänge. Leo von Klenze erklärt: »Der dorische Peripteros ist das schönste Gebäude der Welt und aller Zeiten und die einzige, wahre, mathematisch gewiss beste Architektur«.
Wie gut der Klassizismus des 19. Jahrhunderts zur minimalistischen Moderne passt, hat der britische Architekt David Chipperfield kürzlich bewiesen. Das Neue Museum in Berlin, um 1850 vom Schinkel-Schüler Friedrich August Stüler erbaut, ist fast siebzig Jahre lang geschlossen und beinahe zur Ruine verkommen, bevor Chipperfield das zerstörte Gebäude restauriert und ergänzt.
Chipperfield bewahrt die originale Substanz und Struktur des Gebäudes und konturiert sie durch eine klare und moderne Formensprache. Die monumentale Treppenhalle etwa behält ihr historisches Volumen, wird aber dennoch schlicht und minimal. Das Neue ist als Neues erkennbar und rahmt das Alte ein.
Wunderbar ist der Kontrast zwischen den rohen Backsteinwänden, die in jedem modernen Loft stehen könnten, und den antiken weißen Friesstücken, die wie in einer zeitgenössischen Galerie gehängt sind.
Das Reduzierte, Karge und Einfache der minimalistischen Architektur hat etwas Klösterliches. Walter Gropius, der Gründer des Bauhauses, holt nicht zufällig Johannes Itten als Kunstlehrer nach Weimar, einen Anhänger der religiösen Mazdaznan-Lehre, der mittelalterliches Mönchstum mit asiatischer Meditation verbindet.
Klarheit und Ruhe, Konzentration und Achtsamkeit. Das sind nicht nur klösterliche Ideale. Auch der Minimalismus versucht, die Fülle der Dinge streng zu kuratieren, um eine Reinheit von Raum, Licht und Proportion zu erreichen.
Zu den bedeutendsten modernen Minimalisten gehört der britische Architekt und Designer John Pawson. Wenige architektonische Elemente, zeitlose Materialien und euklidische Geometrien – das sind die Mittel, die seine Entwürfe so kompromisslos und einzigartig machen.
Ein großartiges Beispiel ist das Kloster Nový Dvůr in Tschechien, das Pawson seit 1999 schrittweise umgestaltet hat. Die Trappistenmönche hatten ein Foto des berühmten New Yorker Calvin-Klein-Ladens gesehen, den Pawson entworfen hatte, und waren fasziniert von seiner Kunst des Weglassens.
Nahezu leere Räume, eine Treppe wie eine Himmelsleiter, eine delikate Palette reduzierter Farben, die mit dem hereinströmenden Licht aus einem Seitenfenster verschmelzen – so könnte ich leben. Mir würde nichts fehlen.
Es ist nahezu unmöglich, all die Künstler zu nennen, die zur »Minimal Art« des 20. Jahrhunderts zählen. Es wäre auch langweilig. Einer der wichtigsten ist zweifellos der amerikanische Maler, Bildhauer und Architekt Donald Judd, der den Minimalismus in der Kunst entscheidend geprägt hat. Berühmt ist sein »Whyte Building« in Marfa – Leere und Licht und einige wenige Möbel aus den 20er Jahren.
Faszinierend ist auch Judds privates Wohnhaus und Atelier in der New Yorker Spring Street, eine ehemalige Textilfabrik mit gusseiserner Fassade, die er 1968 gekauft hatte. Zu einer Zeit, in der die Gegend noch eher heruntergekommen war. Seit seinem Tod 1994 ist das Haus zu besichtigen – ein Gesamtkunstwerk mit Bibliothek, Schlafzimmer, Designobjekten, Möbeln von Rietveld und Thonet, afrikanischen Masken, Lichtskulpturen und den Arbeiten seiner Künstlerfreunde Dan Flavin, Frank Stella und Carl Andre. Bitte nichts anfassen!
Judd hat immer versucht, der Farbe eine so plastische Form zu geben, dass sie in den Raum hineinwirkt. Die Inszenierung des Raumes und sogar einer ganzen Landschaft findet in der sogenannten »Land Art« seinen Höhepunkt. Mein absoluter Lieblings-Land-Art-Künstler ist Richard Long, der seit Jahrzehnten tagelange konzeptionelle Wanderungen in allen Teilen der Welt unternimmt und dabei natürliche Kunstwerke schafft, die er photographisch und textlich dokumentiert.
Gerade Linien und Kreise aus Holz oder Steinen inmitten weitläufiger und meist leerer Landschaften. Abgeschiedenheit, innerlich und äußerlich. Der britische Künstler macht Photos von seinen temporären Skulpturen, danach werden sie wieder entfernt oder sie verwittern und werden zu Staub. Was bleibt, ist nur ein Bild.
Anfang und Ende, Leere und Fülle, Notwendigkeit und Begehren. Der Minimalismus fokussiert die wichtigen Dinge des Lebens: Aufmerksamkeit und Respekt für das Einzelne, auch und vor allem für das Einfache.
Beitragsbild © Bauhaus Dessau
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