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BACK TO BASICS I

Einfachheit, Klarheit, Reduktion. Die Kunst des Weglassens. Der Luxus der Leere. Das kann man Minimalismus nennen. Oder Understatement. Oder, wie der amerikanische Künstler Donald Judd, den schlichten Ausdruck komplexen Denkens.

Einfachheit ist der Schlüssel zu wahrem Stil. Das Schlichte nämlich ist die subtilste Form der Raffinesse. Vollkommene Schönheit entsteht, wenn man nichts mehr wegnehmen kann.

Kate Moss 1993 in the British Virgin Islands © Mario Sorrenti 

Dass Schlichtheit auch aufregend sein kann, hat der Modephotograph Mario Sorrenti 1993 mit seinen Bildern von Kate Moss bewiesen – eine kahle Wand, ein nackter Fußboden und ein schwarzes Kleid, das man nicht weiter reduzieren kann. 

Minimalismus ist mehr als eine Mode. Minimalismus ist eine Philosophie, ein Prinzip, ein Lebensstil. Für manche Menschen, wie für mich, auch ein elementares Bedürfnis. Ich kann nicht anders. Ich brauche Ordnung, Weite und Leere. Unordnung irritiert mich, zugestellte Räume machen mich nervös. Ein vollgestopfter Kleiderschrank würde mich ratlos machen. Ich hätte nichts mehr anzuziehen.

Nein, das ist nicht mein Kleiderschrank. Sondern der Calvin Klein Store auf der Madison Avenue in New York 1995, entworfen von dem britischen Minimal-Architekten John Pawson © Todd Eberle

Das Laute und Bunte ertrage ich einfach nicht. Farben, die nach Aufmerksamkeit schreien, lenken mich ab und stören meine Arbeit und meine Konzentration. Ich mag keine Farben, von Weiß einmal abgesehen. Aber das ist schließlich keine Farbe. Das ist reines Licht.

Allenfalls mag ich noch Grau in allen Schattierungen von Taupe bis Anthrazit und die leichten graubeigen Töne von blass gescheuerten Hölzern oder von englischem Sandstein. Ich weiß, das ist eine ziemlich limitierte Palette.

Ein Badezimmer von John Pawson für den Antiquitätenhändler Jill Dienst, New York © Anthony Cotsifas / AD

In meinem Kleiderschrank gibt es noch ein Blau, das so dunkel ist wie der Himmel in der Nacht. Und natürlich einige schwarze Basics, die man einfach braucht. Weiß ist vollkommen. Schwarz auch. 

Ein schlichtes weißes Hemd zu einem bodenlangen schwarzen Rock kann übrigens sehr glamourös sein. Das hat zum Beispiel Carolyn Bessette-Kennedy, eine Ikone des Minimal-Style, 1999 auf der Whitney Museum Annual Fundraising Gala in New York gezeigt. Wer weiß, wer er ist, kann sich erlauben, schlicht aufzutreten.

Carolyn Bessette-Kennedy © Evan Agostini / Getty Images

Minimalismus ist nicht zurückhaltend. Er ist radikal. Wenn man das Einfache sucht, muss man sich entscheiden. Für einen einzigen Stil, eine einzige Linie, einen einzigen Rhythmus. 

Konzentration und Bescheidenheit sind wesentliche Werte des Minimalismus. Na gut, bei den Materialien hört die Bescheidenheit auf. Minimalismus meint zwar die Beschränkung auf wenige Materialien wie Holz, Marmor, Mauerwerk oder Beton, doch diese Materialen müssen von bester Qualität und präzise verarbeitet sein. In der Leere wird jedes Detail sichtbar.

Architektur / Design von John Pawson für ein Haus in Telluride, Colorado @ illuminarts

Wenn man die Reduktion auf das Wesentliche sucht, muss man konsequent sein, manchmal auch rigoros. Etwa was Fehlkäufe betrifft, weil man doch einer Werbung oder einer Versuchung erlegen ist, oder den ganzen Krimskrams, der sich im Laufe der Zeit immer wieder ansammelt. Bei mir kommen die Dinge entweder in Schubladen, in schlichte weiße Einbauschränke oder in den Müll. Ich habe keinen Raum für unnötigen Ballast.

Loft in Kopenhagen, Design von der norwegischen Architektin Danielle Siggerud © Danielle Siggerud

Minimalismus ist eine Ästhetik, die alles Überflüssige eliminiert. Für mich eine Notwendigkeit, aber auch ein Schutz gegen die Aufdringlichkeit der modernen Warenwelt, in der es von Allem zuviel gibt. Dabei ist nur das Wenige wirklich wertvoll. 

Über ein einziges perfekt gearbeitetes Kleid oder ein einziges vollkommen geformtes Möbelstück freue ich mich mehr als über hundert halbwegs gelungene. Ich kaufe lieber gar nichts als etwas, das mir nicht wirklich gefällt.

Lindsey Wixson © Peter Lindbergh / Vogue Japan 2013

Ja, Minimalismus ist streng. Und nicht zufällig beeinflusst von der traditionellen japanischen Kultur. Von schlichten Tatamis aus Reisstroh, von einfachen, aber formvollendeten Teekannen aus Gusseisen, von einem Haiku, das nicht viele Worte macht, vom Zen-Buddhismus, der die vollkommene Leere sucht. 

Der japanische Architekt Tadao Ando hat in den achtziger Jahren in der Nähe von Osaka mit sparsamsten Mitteln eine »Kirche des Lichts« gebaut. Der unauffällige Kubus ist ein Meisterwerk des Minimalismus – Natur, Beton, Licht, Raum. Überflüssiger Kram und Krempel stören die Stille, die Konzentration, die meditative Versenkung.

Tadao Ando, Kirche des Lichts in Ibaraki © dezeen architecture and design magazine

Minimalismus ist eine Kunst. Die Natur ist nicht minimalistisch. Ganz im Gegenteil. Sie ist üppig, verschwenderisch, farbenfroh und divers. Nur im Winter, wenn sie sich zurückzieht und nahezu gefroren ist, zeigt sie schlichte Strukturen, klare Linien und fast geometrische Formen.

Schilfhalme im halbgefrorenen Jungfernsee in Potsdam © ac

Einfach, schlicht, perfekt. Der Minimalismus prägt eine ganze Dekade. In den 90ern werden Mode, Architektur und Design schlagartig grau, schwarz, weiß oder beige. Der amerikanische Designer Calvin Klein macht sich mit seinen puristischen und monochromen Entwürfen schon früh einen Namen in der New Yorker Modeszene. 

Seine kühnen Werbekampagnen mit Fotografen wie Bruce Weber, Steven Meisel oder David Sims und mit Models wie Brooke Shields, Christy Turlington und Kate Moss sind stilprägend und machen den Minimal-Style für eine urbane Klientel zum »must have«.

Christy Turlington für Calvin Klein 1989 © Bruce Weber

Der minimalistische Look des Jahrzehnts konzentriert sich auf wenige Basics. Schlichte schwarze oder weiße Kleider, ein schwarzer Cashmere-Pulli zu einem nudefarbenen Midi-Rock, maskulin geschnittene Mäntel, kleine Sonnenbrillen, Jeans zu einem dunkelblauen Oversized-Blazer. Das ist classy, clean und cool. 

Christy Turlington for Calvin Klein eyewear

Auch andere Designer lassen sich von der minimalistischen Ästhetik inspirieren. Prada etwa zeigt in der Sommerkollektion 1994 einfache weiße Outfits zu schwarzen Strümpfen und flachen schwarzen Schuhen. 

Christy Turlington © Peter Lindbergh Prada Spring/Summer 1994 ad campaign

Einen sehr strengen und kargen Minimalismus propagiert der japanische Designer Yohji Yamamoto. Mit seinen dekonstruierten Schnitten sucht er eine neue Definition der Schönheit. Er ist unkonventionell und provokant. Er kombiniert traditionelle Kimonos mit maskuliner Streetwear, unbehandelte Naturmaterialien mit scheinbar unproportionierten Schnitten. Seine Farben: Schwarz und Weiß.

Guinevere Van Seenus © Paolo Roversi / Yohji Yamamoto Spring/Summer 1997

In Deutschland zelebriert Jil Sander den »90s minimalism« – in der Mode wie im Design. Ihr erster Flagshipstore in der Avenue Montaigne in Paris, den sie 1993  eröffnet, ist geradezu eine Liebeserklärung an den Minimalismus. Das Interieur, gestaltet vom Architekten Michael Gabellini, lebt von den weißen Wänden und dem Spiel des Lichtes auf hellem Sandstein. 

Jil Sander Store in Paris 1993 © Jil Sander

Minimalismus ist zeitlos. Und bis heute – oder gerade heute – wieder aktuell. Er ist ein Kontrapunkt zum vorherrschenden Zeitgeist.

Julia Nobis © Willy Vanderperre / Jil Sander Fall/Winter 2016 ad campain

Minimalismus ist der Gegenentwurf zum Maximalismus eines Designers wie Alessandro Michele, der für Gucci die größtmögliche Opulenz inszeniert: geblümte Anzüge, wild gemusterte Kleider, Schleifen, Stickereien, üppiger Schmuck mit Kreuzen, Kristallen und Tigerköpfen. Das Label prägt den Zeitgeist – es ist das derzeit am meisten verlinkte und kopierte der Welt.

Auch das Haus Céline, unter Designerin Phoebe Philo über Jahre ein Hort schlichter Coolness und eines unangestrengten Minimalismus, ist diesem Zeitgeist gerade zum Opfer gefallen. Die elegante Zurückhaltung ist passé, jetzt muss es wieder jung, rockig und edgy sein. 

Joan Didion und Daria Werbowy für Céline Spring/Summer 2015 ad campaign © Julian Wasser, The LIFE Images Collecion/Getty Images / Tyrone Lebon, Courtesy of Céline

Der Minimalismus hat immer nur eine eher kleine Gruppe von Menschen angesprochen. Man muss ihn lieben und leben. Sonst läßt man besser die Finger davon. So wie die New Yorker Mode-Celebrity Iris Apfel, die berühmt ist für ihre überladenen Outfits und kurzerhand erklärt: »More is more and less is a bore«.

Beitragsbild Iselin Steiro © Lachlan Bailey / Holiday Magazine 2017


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